Die „Entdeckung“ von Jamlitz
und die Blasdorfer Teiche
Die Blasdorfer Teiche südlich von Jamlitz gehörten seit der Entdeckung des Dorfes als Künstlerort – jetzt genau auf Pfingstmontag, den 19. Mai 1902 datierbar! – zu den beliebten Malmotiven. Es handelte sich um drei miteinander verbundene Teiche, umgeben von Wiesen, Feldern und teils bewaldeten Hügeln. Heute sind die reizvollen Blickachsen durch die vielfältig gestaffelte Landschaft weitgehend zugewachsen. Bilder führen auf ihre Spur.
Sommer 1902
Bei den Recherchen für die Jamlitzer Kunstgeschichten kam bald das Jahr 1902 als mögliches erstes Jamlitzjahr der Malschule Franz Lippischs in den Blick. Der Jan Oeltjen-Forscher Volker Maeusel hatte uns auf die mit Jamlitz Sommer 1902 signierte Zeichnung dieses Lippisch-Schülers hingewiesen. Wir sahen sie seitdem als erstes bekanntes Bildzeugnis der Künstler in Jamlitz an. Eine kürzlich im Nachlass entdeckte Karte der elfjährigen Bianca Lippisch an ihren Vater Franz Lippisch p. Adr. Herrn Gustav Päprer in Jamlitz bei Lieberose vom 10. Juni 1902 belegte nun auch dessen dortige Anwesenheit im Frühsommer jenes Jahres.
Postkarte von Bianca Lippisch aus Charlottenburg an ihren Vater Herrn Franz Lippisch p. Adr. Herrn Gustav Päprer in Jamlitz bei Lieberose vom 10. Juni 1902. Text auf der Rückseite: Lieber Papa! Bei uns ist alles munter und wir würden uns freuen, wenn Du uns schreiben wolltest, ob wir auch nach Jamlitz kommen können. […] Hoffentlich geht es Dir gut und Du verlierst nicht den Humor bei dem unsicheren Wetter. Es grüßt Dich herzlich Deine Tochter Bianca. (Sammlung Annette Krüger, Hamburg)
Außerdem kam ein neues Bildzeugnis hinzu: Franz Lippischs Erntemorgen in der Mark (Westfälisches Landesmuseum, Münster), signiert und datiert 1902. Lange kannten wir davon nur eine verblasste Schwarz-Weiß-Reproduktion und maßen dem Bild wenig Bedeutung bei. Nach einem genaueren Blick auf das inzwischen auch farbig reproduzierte Gemälde war klar: Es zeigt die Blasdorfer Teiche bei Jamlitz. Franz Lippisch muss spätestens im Sommer 1902 dort gearbeitet haben.
„… habe ich erfahren, wie dieses Nest heisst“
Die Jamlitzer Zeitzeugin Gertrud Hinz geb. Albin erzählte 1971 in einem Interview in farbigen Details davon, wie Franz Lippisch einst auf der Suche nach einem geeigneten Spreewald-Quartier für seine Charlottenburger Malschule nach Lieberose kam und – begeistert von der wendischen Tracht einer Jamlitzer Kirchenbesucherin – auch nach Jamlitz einen Abstecher machte, wo er dann in Paeprers Gasthaus gleich für den ganzen Sommer buchte.
Dies habe sich an einem Pfingstmontag zugetragen. Die Jahresangabe „1901“ weckte allerdings Zweifel, denn da war Lippisch in Italien. Briefe seines Schülers Albert Wenner (1879–1962), auf die uns jüngst Volker Maeusel aufmerksam machte, legen nun den Schluss nahe, dass Frau Hinz sich einfach nur um ein Jahr vertan hat.
Wenner schrieb am 16. Mai 1902, dem Freitag vor Pfingsten, aus Charlottenburg an seinen Freund Jan Oeltjen wegen einer Anfang Juni geplanten Studienfahrt der Malschule Lippisch. Er habe noch nichts von Lippisch gehört, aber hoffe, hoffe immer zu, dass es geht dem Spreewald zu. Am 25. Mai heißt es: Lippisch hat dir geschrieben. […] Ich wünsch dir also einen produktiven, angenehmen Aufenthalt im Spreewald. Er selbst konnte nicht mitfahren. Im ersten, vergeblichen Versuch, nach Jamlitz an Oeltjen zu schreiben, buchstabierte er den Ortsnamen falsch („Jasmitz“), meinte aber am 17. Juni, nun habe er erfahren, wie dieses Nest heisst.
Die Fahrtteilnehmer kannten ihr genaues Spreewaldreiseziel also erst ab Ende Mai 1902 und der Name Jamlitz war ihnen neu. Alles spricht damit für den Pfingstmontag, den 19. Mai 1902 als Tag der „Entdeckung“ von Jamlitz durch Franz Lippisch. Der erste Aufenthalt der Malschule dauerte dann von Juni bis Oktober 1902. Zeit für viele Skizzen und Gemälde.
Blasdorfer Teiche in Serie
Franz Lippischs Bild Erntemorgen in der Mark vom Sommer 1902 zeigt den Blick von einer Höhe östlich der Blasdorfer Teiche nach Westen. Zwischen den Waldstücken im Mittelgrund rechts und links erkennt man am Horizont Blasdorf, vorn rechts zwei Arbeiter am Rand des Getreidefeldes. Das ungewöhnliche, fast quadratische Format räumt dem Himmel mit den Sommerwolken die Hälfte der Fläche ein und lässt das Bild besonders lichterfüllt wirken. Diese erste bekannte Version des Motivs ist auch Lippischs stärkste.
Weitere, teils in Reproduktionen überlieferte, meist undatierte Darstellungen der Blasdorfer Teiche erhielten vom Künstler oder Kunsthändler ebenfalls allgemeine Titel, wie z.B. das Gemälde, das im Kunsthandel zuletzt Heiterer Sommertag am See mit schilfigem Ufer zwischen sanften Wiesenhängen und Wäldern hieß. Alle Versionen sind von einem niedrigeren Malstandort aus gesehen, sodass die Landschaft weniger großzügig wirkt als beim Erntemorgen von 1902. Das Gelände selbst blieb bis auf einzelne aufwachsende Bäume zunächst unverändert. Man beachte vor allem: Vor dem rechten Waldstück ist freies Feld.
Links: Franz Lippisch: Landschaft aus der Kurmark (Blasdorfer Teiche), Öl auf Leinwand, Datierung und Maße unbekannt, signiert u. re.: F. Lippisch. Unter dem genannten Titel abgebildet im Cottbuser Anzeiger, 17. Januar 1939. Alte Reproduktion (Privatarchiv)
Rechts: Franz Lippisch: Frühlingslandschaft Mark (Blasdorfer Teiche), Öl auf Leinwand, Datierung, Maße und Signatur unbekannt, 1920 in Privatbesitz Oberhausen, Kriegsverlust. Alte Reproduktion (Privatarchiv)
„Mein Jamlitzer Lieblingsplätzchen“
Die Berliner Lehrerin Gerda Wunschmann sandte Franz Lippisch am 31. Dezember 1926 nicht nur Silvestergrüße nach Jamlitz, sondern erwähnte in ihrer Postkarte auch einen Bildkauf: Hätte Frl. Schinck nicht die Blasdorfer Teiche gewählt, hätte ich sie mir genommen, es ist dies mein Jamlitzer Lieblingsplätzchen, genau die Stelle, wo ich jeden Jamlitzer Pfingstmorgen verlebe. Der Heideweg ist auch herrlich, aber die Stimmung auf dem Blasdorfer Teich-Bild liegt mir noch näher. Ich hoffe auf ein ähnliches Bild.
Gerda Wunschmann war keine Malschülerin, aber mit Verwandten und Kolleginnen ein treuer Stammgast des „Kühlen Grundes“ in Jamlitz – zwischen 1912 und 1930 steht sie mit 17 Aufenthalten in Paeprers Gästebuch. Dabei muss sie mit Franz Lippisch Bekanntschaft geschlossen haben. 1929 gehörte sie zu den Gratulanten zu seinem 70. Geburtstag, so wie auch ihre Kollegin Margarete Paape (7-mal bei Paeprer zwischen 1912 und 1928), die ihm 1928 einen weiteren Bildverkauf in Berlin vermittelte.
Zwar wissen wir nicht, welches Bild Gerda Wunschmann genau meinte und auf welche Stelle vor Ort sie sich bezog (manchmal malte Franz Lippisch auch den Blick vom westlichen Ende der Blasdorfer Teiche nach Osten), aber ihre Postkarte spiegelt die Liebe der Gäste zu den Schönheiten der Jamlitzer Landschaft und den Wunsch, sie sich als Bild ins eigene Heim zu holen.
Wald statt Feld
Die nächsten überlieferten Darstellungen der Blasdorfer Teiche dokumentieren die beginnende Verwaldung der Landschaft. Franz Lippischs undatiertes Bild lässt sich nur dadurch überhaupt zeitlich einordnen (Dank an Matthias Krebs, Jamlitz), sein Malstil blieb nämlich unverändert. Allenfalls ist eine noch naturgetreuere Herangehensweise festzustellen, die sich penibel an das Vorgefundene hält. Und so beachte man: Am nördlichen Ufer, vor dem bekannten rechten Waldstück, beginnt – vermutlich seit den 1930er-Jahren – ein Birkenwäldchen zu wachsen.
Birken wachsen schnell. Der Maler Rudolf Grunemann, seit um 1933 regelmäßig in Jamlitz, gibt sie in einer vor 1940 entstandenen Kreidezeichnung der Blasdorfer Teiche in hellem Grün und schon recht stattlicher Größe wieder. Übrigens scheint er wie 1902 Franz Lippisch einen erhöhten Betrachterstandpunkt eingenommen zu haben.
Bei Bianca Commichau-Lippisch, die Anfang der 1940er-Jahre Ansichten der Blasdorfer Teiche in Öl und Pastell schuf, sind die Birken herbstlich gefärbt.
„Etwas verändert“
Am 24. September 1961 schrieb Bianca Commichau-Lippisch in einem Brief, sie habe bei einem Spaziergang mit dem befreundeten Jamlitzer Malerautodidakten Günter Kloke (1917–1996) ihre geliebten Blasdorfer Teiche wiedersehen können, wo sie sich bisher nicht mehr allein hingetraut habe (warum, ist unklar).
Bilder mit dem Motiv, von denen sie 1958 und 1960 schrieb, entstanden also im Atelier nach alten Vorlagen. Diese waren womöglich schon 1949 in Gebrauch, als sie explizit solche Kopien erwähnte. Die Besteller störte es offenbar nicht, vielleicht war es ihnen gerade recht und sie freuten sich über eine nostalgische Erinnerung. Denn weiter schreibt die Künstlerin 1961, sie sei zwar von neuem entzückt von der schönen Landschaft gewesen, aber diese hätte sich etwas verändert.
Betrachtet man ein Foto von 1963, hatte sich die Landschaft allerdings nur leicht verändert. Die Birken waren höher gewachsen, die Teiche stärker verschilft.
Heute ist der Blick nach Blasdorf infolge weitgehender Aufgabe der Wiesenwirtschaft nach 1990 fast ganz zugewachsen – aber im Winter, wenn das Laub gefallen ist, erahnt man noch etwas von der alten Weite des Blicks.
Unveröffentlichte Quellen
- Briefe von Albert Wenner im Deutschen Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, Nachlass Oeltjen. Jan, ABK I, C – 218: Wenner, Albert M. und Else
- Interview Gertrud Hinz geb. Albin von Roland Richter 1971, Transkription Andreas Weigelt, Lieberose
- Nachlass Commichau-Lippisch, Sammlung Annette Krüger, Hamburg