Geschichte der Künstler in Jamlitz

Ein malerischer Ort

Jamlitz in der Niederlausitz1622–1945 im Besitz der Lieberoser Grafen von der Schulenburg, ist um die vorige Jahrhundertwende eher ein kleines Industrie- als ein Bauerndorf – geprägt von Teich- und Forstwirtschaft, Wassermühlen, einem Sägewerk, einer Brauerei und einer Glashütte. Doch mit seiner sanft welligen Landschaft, den Wiesen, Teichen und Seen, Quellen und Fließen, sandigen Hügeln und feuchten SenkenHeide, Birken und Kiefern bietet es eine Fülle an pittoreskeMotiven.  

Dieser Ansicht waren auch die angehenden Künstlerinnen und Künstler der von 1896 bis 1912 bestehenden Charlottenburger Malschule von Franz Lippisch. Sie nahmen um 1902 erstmals im Jamlitzer Gasthaus „Zum kühlen Grund“ Quartier. 

Postkarte aus Jamlitz um 1900
(in: Ortschronik
Jamlitz 2002)

Die Gründungslegende 

Von der Geschichte, wie Jamlitz als Künstlerort entdeckt wurde, kursieren verschiedene Versionen. Kernmotiv ist die führende Rolle Franz Lippischs. Er soll auf sommerlicher Malreise im Spreewald unterwegs gewesen sein, entweder allein oder mit 20 Malschülerinnen und -schülern im Schlepptau auf der Suche nach einer Unterkunft.   

Übereinstimmend wird berichtet, dass Franz Lippisch aus Lehde kommend über Lieberose nach Jamlitz gelangteMöglicherweise hatte es ihm die wendische Tracht einer jungen Frau aus Jamlitz im Lieberoser Gasthaus Zum goldenen Hirsch“ angetan. Wirt Mischke soll ihm die Weiterreise in ihr sehenswertes Heimatdorf Jamlitz mit dem Gasthaus „Zum kühlen Grund“ empfohlen haben. 

Dort gefiel es den Künstlern so gut, dass sie immer wiederkamen und Walter Kühne und Franz Lippisch sich schließlich ganz in Jamlitz niederließen, Schüler und Freunde folgten nach. So lautet in Kurzform die „Gründungslegende“ der Künstlerkolonie Jamlitz.

Bianca Lippisch (vorn), der Maler
Walter Kühne (rechts)
und ein unbekannter Herr am
Schwansee bei Jamlitz,
Foto um 1907 (Privatarchiv)

Idylle mit Bahnanschluss 

In einer Version der Geschichte heißt es, die sechs Kilometer zwischen Lieberose und Jamlitz seien bei Franz Lippischs „Entdeckungsfahrt“ zu Fuß zurückgelegt worden. Aber man hätte wohl auch die Spreewaldbahn nehmen können. Die 1898 eröffnete Kleinbahn verkehrte zwischen Cottbus und Lübben. Dort bestand Anschluss an die Berlin-Görlitzer Eisenbahn, die Sommerfrischler und Maler in den Spreewald und Spreewald-Ammen nach Berlin brachte.  

Die Spreewaldbahn fuhr über „Lieberose Stadt“ und die Haltepunkte Blasdorf und Jamlitz auch zum Jamlitzer Bahnhof. Dieser trug verwirrenderweise bis 1958 den Namen „Lieberose“ (geschlossen 1998, heute Bildungsstätte und Wohnort für Straßenjugendliche). Hier gab es über die Staatsbahn, die zwischen Cottbus und Frankfurt (Oder) verkehrte, ebenfalls Anschluss nach Berlin.  

Eine malerische ländliche Gegend mit attraktivem Ausflugslokal und Bahnverbindung in die Großstadt? Beste Voraussetzungen für eine Künstlerkolonie! 

Bahnhof „Lieberose“ (= Jamlitz), Staatsbahn und Kleinbahn, Postkarte um 1900 (Privatarchiv) 

Datierung um 1902 

Wann Franz Lippischs erste Fahrt nach Jamlitz stattfand, ist nicht genau bekannt. Einige Daten, die man immer wieder liest, sind auszuschließen, zum Beispiel Pfingsten 1901 (da war Franz Lippisch in der Toskana) oder das Jahr 1904 (da war er bereits zum dritten Mal in Jamlitz) 

Vieles spricht dafür, dass 1902 das erste Jamlitz-Jahr der Malschule Lippisch war. Eine frühe Zeichnung des Lippisch-Schülers Jan Oeltjen, die mit „Jamlitz Sommer 1902“ beschriftet ist, kann als erster künstlerischer Beleg für den Aufenthalt der Malschule in Jamlitz gelten.  

Jan Oeltjen: „Jamlitz Sommer 1902“ (Blasdorfer Teiche oder Schäferteich mit Wehlans Berg), Bleistift, weiß gehöht, titelgebende Beschriftung unten rechts,
frühester Beleg für die Lippisch-Malschule in
Jamlitz
(Landesmuseum
für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg)

Damit übereinstimmend ist in Briefen des Ehepaars Lippisch ab August 1902 erstmals von Jamlitz die Rede. Es liest sich so, als sei der Aufenthalt dort schon Routine, die Briefüberlieferung ist zudem lückenhaft. Also gab es vielleicht schon eine frühere Jamlitzfahrt – womöglich im Frühjahr 1902. Dazu passte ein Foto von drei Mitgliedern der Malschule mit den Lippisch-Kindern aus einer undatierten Fotoserie, die wohl in einem Frühjahr (kahle Bäume!) in Jamlitz entstand. Nach dem Alter der Kinder zu urteilen, könnte das durchaus im Frühjahr 1902 gewesen sein. 
Fazit: Vermutlich wurde Jamlitz um 1902 als Künstlerort entdeckt. 

Unbekannte Malschülerinnen und -schüler in Jamlitz mit den Lippisch-Kindern Anselm (*1892, links), Alexander (*1894, Mitte) und Bianca (*1890, hinten rechts), undatiertes Foto,
um 1902 (Privatarchiv)

Paeprers Gasthaus

Das Jamlitzer Gasthaus „Zum kühlen Grund“, in dem die Charlottenburger Malschule von Franz Lippisch seit der Zeit um 1902 regelmäßig Quartier nahm, wurde 1854 zusammen mit der Glashütte erbaut, 1862 nach Brand neu errichtet und zwischen 1907 und 1911 aufgestockt.  

Paeprers Gasthaus „Zum kühlen Grund“ in Jamlitz, Postkarte vor der Aufstockung von 1907/1911 (Privatarchiv)

Die Wirtsleute Georg und Marianne Paeprer boten ihren Gästen neben einer schönen Aussicht auf den Schäferteich günstige Unterkunft, gute Verpflegung, einen Saal, eine Kegelbahn und einen weitläufigen, fast mediterran wirkenden Garten mit Springbrunnen, Azaleen und Palmen. 

Das Gästebuch

Ein großer Teil der Gäste des „Kühlen Grundes“ reiste aus Berlin und Charlottenburg an, viele davon Mitglieder der Malschule Lippisch: Gerhard Fechner, Walter Kühne, Jan OeltjenAlbert Wenner, Johanna Feuereisen, Adela Adelmann-Reuther, Irene Goeschen, Lilly LehbertEmmi Rose, Susanne Ulbrich und andere, über die wir teils kaum mehr als die Namen wissen. Nicht wenige blieben dem „Kühlen Grund“ nach der Schließung der Malschule 1912 als Stammgäste treu. 

Gästebuch von Paeprers Gasthaus „Zum kühlen Grund“: Ausschnitt 1904/05 u.a. mit Einträgen Franz Lippischs, Walter Kühnes
und mehrerer Malschüler
innen der Malschule Lippisch aus Charlottenburg (Privatarchiv)

Mit Franz Lippisch und Walter Kühne befreundete Künstler wie der Bildhauer Wilhelm Neumann-Torborg und der Maler Prof. Franz Kruse waren gelegentlich zu Gast, ebenso der Bauforscher Oscar Reuther, der einmal sogar aus Babylon anreiste. Dessen SchwagerArchitekt Paul Schröder, war Stammgast, bis er sich in Jamlitz ein Ferienhaus baute. Schröders Nachbar in Berlin-Friedenau, der Karikaturist und Kästner-Illustrator Walter Trier, logierte 1927 ebenfalls im „Kühlen Grund“. 

Zum Freundeskreis Lippisch-Kühne gehörten der Kunsthistoriker Walter Friedlaender, der Bankier Ernst J. Meyer mit Frau (er ließ von Architekt Schröder die Villa Deus in Jamlitz erbauen) und Prof. Walter Franz von der TCharlottenburg mit Familie. Manche Schüler und Bekannte, aber auch Franz Lippischs Frau Clara mit Kindern waren häufiger hier als der Maler selbst; er kam durchaus nicht jede Saison (nachweislich aber: 1902, 1903, 1904, 1906, 1909 und ein paar Tage im Jahr 1912) 

Paeprers Garten, Jamlitz, Postkarte um 1906.
V. l. n. r.:
Onkel des Papierwarenhändlers Amsel in Lieberose (vor dem Efeu), am Tisch sitzend ein unbekanntes Madchen und Anselm Lippisch, stehend Georg Paeprer, auf der Bank sitzend Wirt Gustav Paeprer; in den Fenstern unten Marie Paeprer, oben Bianca Lippisch mit Mutter Clara Lippisch (Privatarchiv)

Wir wissen das alles so genau, weil das 19041932 geführte Gästebuch des „Kühlen Grundes“ erhalten ist. Darin sind Name, Beruf, Heimatadresse und Aufenthaltszeit der Gäste verzeichnet. Dokumentiert sind also sowohl das touristische Einzugsgebiet von Jamlitz wie auch das soziale Milieu der BesucherDas Gästebuch ist ein Zeugnis für die Geschichte der Künstler in Jamlitzaber auch für die Beziehungen zwischen Dorf und Stadt, wie sie sich im Fremdenverkehr spiegeln 

Gästebuch Paeprer, Ausschnitt von 1928, links oben
„Summer in Jamlitz is the perfection of beautiful“
(Sommer in Jamlitz ist die Vollendung des Schönen),
nach einem Zitat von Mark Twain (Privatarchiv)

Schicksale des „Kühlen Grundes“  

1937 kam das Gasthaus Paeprer in den Besitz von Walter Beuthan. Im Herbst 1943 quartierte die SS im Tanzsaal des „Kühlen Grundes“ Häftlinge aus Sachsenhausen ein, die das KZ in Jamlitz aufbauen mussten. 

In der DDR-Zeit dagegen sorgte das hier untergebrachte Betriebsferienlager für schöne Erinnerungen Berliner Kinder, die nach Jamlitz zur Erholung geschickt wurden. Nach Jahren als Bauruine ist der Gebäuderest im Frühjahr 2020 abgerissen worden. 

Im Schicksal des „Kühlen Grundes“ offenbaren sich wie unter einem Brennglas die Verwerfungen der jüngeren deutschen Vergangenheit. Die Geschichte des Künstlerortes Jamlitz im Kontext der Orts- und Zeitgeschichte wird weiter aufgearbeitet und auf dieser Website präsentiert.