Geschichte der Künstler in Jamlitz
Künstler ziehen nach Jamlitz
Nach den Anfängen um 1902 im Gasthof „Zum kühlen Grund“ verlegten einige Künstler und Künstlerinnen ihren Lebensmittelpunkt teilweise oder ganz nach Jamlitz. Den Anfang machten Walter Kühne 1905 und Franz Lippisch 1915. Es folgten Freunde und Bekannte aus ihrem Umkreis.
Land- und Ferienhäuser wurden aus Neigung und freier Entscheidung gebaut. Dagegen wurde die Wahl von Jamlitz als Hauptwohnsitz oft von äußeren Gründen mitbestimmt. Nicht allein der liebliche Ort und die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, auch Krisen und Kriege waren Anlass, sich aufs Land zurückzuziehen. Ein Selbstverständnis als „Künstlerkolonie“ spiegeln die Quellen am ehesten für die Zeit um 1915/20. In der Presse wird der Begriff seit Ende der 1930er Jahre verwendet.
Die Rolle, die Graf Otto von der Schulenburg für die Künstleransiedlung gespielt hat, ist noch nicht systematisch erforscht, scheint aber bedeutend gewesen zu sein. Das beweist u.a. Franz Lippischs Brief an seinen Schweizer Schüler Albert Wenner vom 21. Juli 1915 (Staatsarchiv St. Gallen), in dem er diesen anregt, auch ein Haus in Jamlitz zu erwerben: „Dem Grafen, der Sinn für Kunst hat, liegt daran, dass sich Maler hier ansiedeln u. er will nur uns die freien Höfe verkaufen.“
1905: Walter Kühne
Es war wohl Liebe auf den ersten Blick: Schon 1905, kurz nach seinem ersten Jamlitz–Aufenthalt mit der Malschule Lippisch im Herbst 1904 erwarb Walter Kühne ein terrassenförmig zum Byhlegrund führendes Grundstück oberhalb der Jamlitzer Glashütte. Der damals sehr wohlhabende Grafiker und Maler aus Berlin ließ darauf 1907 durch Baumeister Busch aus Lieberose ein Landhaus mit Druckwerkstatt und Gartenatelier erbauen. 1911 wurde es erweitert.
Walter Kühne ist als erster „Siedler“ der Künstlerkolonie anzusehen, auch wenn er zunächst nicht ganzjährig in Jamlitz lebte. Erst nach dem Verlust seines Vermögens in der Inflation 1923 ging er mit seiner Familie ganz nach Jamlitz. Auch sein Schwiegersohn Erich Seiffert und zeitweise der Maler Rudolf Grunemann lebten mit ihren Familien ab Mitte der 1930er Jahre auf dem Anwesen.
Am 24. April 1945 wurde das Haupthaus durch einen Bombenangriff zerstört. Dabei kam Walter Kühnes Frau Renata ums Leben. Alle hier gelagerten Kunstwerke, darunter Werke Erich Seifferts und das Jugendwerk Rudolf Grunemanns, gingen verloren. Das Haus wurde vereinfacht für die Familie Seiffert wiederaufgebaut, Walter Kühne wohnte und arbeitete bis zu seinem Tod 1956 im verschont gebliebenen Gartenatelier, „Pisspott“ genannt nach dem Märchen „Von dem Fischer un syner Fru“.
1915: Franz Lippisch
Der Berliner Secessionsmitbegründer Franz Lippisch, der um 1902 Jamlitz als Künstlerort entdeckt hat, erwarb vom Grafen von der Schulenburg 1915 am westlichen Ortsausgang ein über 300 Jahre altes Fachwerkhaus mit einem Garten, „so groß, dass wir fast davon leben könnten“ (Brief Franz Lippisch vom 2. Mai 1915). Das Haus war bis 1870 eine Brennerei, dann Waldwärterwohnung. Nun baute der Berliner Architekt Paul Schröder es für ihn zum Wohn- und Atelierhaus um.
Franz Lippisch ist der erste Maler, der seinen Hauptwohnsitz in Jamlitz nahm. Sein Rückzug aufs Land hatte teils äußere Gründe: 1912 gab er seine Charlottenburger Malschule auf, um sich erneut als freier Künstler zu etablieren. Die Familie ging nach Weimar, er selbst 1913/14 nach Rom. Zurück in Deutschland, entschloss er sich u.a. aus kriegsbedingter Planungsunsicherheit, Geldnot und Stadtüberdruss zur Ansiedlung in Jamlitz.
Es herrschte aber auch Aufbruchstimmung: Er wollte wieder Schüler annehmen, und die Familie machte – nicht verwirklichte – Pläne für „Kunstgewerbliche Werkstätten Jamlitz“ (Brief Anselm Lippisch vom 4. Dezember 1914). Ursprünglich sollte auch die Weimarer Kunstgewerblerin Johanna Brinkhaus bei den Lippischs mit einziehen. Auf den Bau von Gästezimmern und -ateliers musste dann aber aus Geld- und Arbeitskräftemangel verzichtet werden und sie erwarb 1916 ein eigenes Haus in Jamlitz. Lippischs Ursprungsbauplan zeigt jedoch, dass er an eine Malschule wie das Künstlerhaus St. Lukas gedacht haben könnte – die Keimzelle der Künstlerkolonie Ahrenshoop.
1916: Johanna Feuereisen-Oeltjen
Im Frühjahr 1916 mietete Franz Lippischs ehemalige Schülerin Johanna Feuereisen-Oeltjen in Jamlitz ein Zimmer in einem Haus des Dorfschmieds Breßler in der Brauereistraße. In den 1920er Jahren bezog sie eine Wohnung im Lieberoser Schloss. Auch nach ihrem Umzug nach Berlin in den 1930er Jahren war sie immer wieder in Jamlitz und Lieberose tätig und beteiligte sich an Ausstellungen in der Region. Die 1947 verstorbene, vor allem als Kopistin und Landschaftsmalerin arbeitende Künstlerin und ihre Tochter Leni waren besonders mit der Familie Lippisch eng verbunden.
1916: Johanna Brinkhaus (Meyer-Ottens)
Nachdem der Plan gescheitert war, ins Haus der Lippischs in Jamlitz mit einzuziehen, erwarb die von Weimar her mit ihnen befreundete, aus Warendorf stammende Kunstgewerblerin Johanna Brinkhaus ein eigenes Fachwerkhaus nahe dem Lippisch-Hof. Sie ließ das ehemalige Gutsarbeiterhaus der Grafen von der Schulenburg 1916–18 als Wohn- und Atelierhaus mit Pension umbauen und machte es zum Treffpunkt Jamlitzer Künstler und ihrer Gäste. Um 1935 zog sie mit ihrem Mann, dem Gärtnermeister Franz Meyer-Ottens, und ihrem Sohn nach Schleswig-Holstein, wo sie 1941 nach längerer Krankheit verstarb.
Soweit aus den wenigen Quellen ersichtlich, ist Johanna Brinkhaus’ Idee eines kombinierten Kunstgewerbe-, Pensions- und Gärtnereibetriebs durchaus mit prominenten zeitgenössischen Beispielen wie Martha Vogelers Haus im Schluh in Worpswede zu vergleichen.
1918–1922: Geschwister Lippisch, Dorothea Lippisch-Ansorge
Nach dem Ersten Weltkrieg lebten die erwachsenen Kinder von Franz Lippisch zeitweise in Jamlitz, um sich beruflich und persönlich neu zu orientieren. Partner und zu Besuch kommende Freunde belebten den Künstlerkreis, darunter die Bildhauerin Hertha Cornilsen und der Biologe Heinz Heck.
1918–21 logierte der spätere Flugzeugpionier Alexander Lippisch im Haus von Johanna Brinkhaus. Er baute in ihrer Werkstatt Flugmodelle und „landschafterte“ im Freien. In seinen Erinnerungen (S. 36) beschreibt er Künstlergeselligkeit und Selbstversorgerleben in Jamlitz als „Künstlerkolonie“.
1919–22 mieteten der Volkswirt Dr. Anselm Lippisch und seine Frau, die Malerin Dorothea Lippisch-Ansorge, das frühere Wohnhaus des Glashüttengeschäftsführers Borngräber an der Springaue, dem Verbindungsfließ zwischen Schenker- und Schäferteich. Anselm Lippisch versuchte sich in Berlin beruflich zu etablieren und kam nur am Wochenende her. 1920 wurden Zwillinge geboren. Später zog die Familie in die Künstlerkolonie Ferch am Schwielowsee, wieder blieb Dorothea Lippisch-Ansorge auf dem Land, ihr Mann arbeitete in Berlin. Der für Künstlerkolonien nicht untypische Spagat zwischen Land- und Stadtleben scheint sich für sie nicht bewährt zu haben, das Paar trennte sich.
Im Sommer 1919 kam Bianca Lippisch nach ihrer Zeit als Kunsterzieherin in Wickersdorf in den Lippisch-Hof, den ihr Vater als Zuflucht für seine „Kinder und Kindeskinder“ gedacht hatte. Mit ihr kam eine Wickersdorfer Freundin, die Musikerin Käthe Conrad. Nach einem Zwischenspiel als Porträtmalerin in Frankfurt/Main kehrte Bianca Lippisch im Frühjahr 1920 erneut nach Jamlitz zurück, um von hier aus als freie Künstlerin weiterzuarbeiten. Nach der Heirat 1921 zog sie nach Straupitz und wurde als Spreewaldmalerin bekannt. Anfang der 1940er Jahre übernahm sie den Lippisch-Hof.
1919/20: Ernst Müller-Braunschweig
Der in Charlottenburg ansässige Bildhauer Ernst Müller-Braunschweig ließ sich 1919/20 von Paul Schröder an der Hauptstraße nahe der Abzweigung des Schwarzen Wegs ein Landhaus errichten. Es wurde schon Ende der 1920er Jahre durch Brand zerstört – ob vor oder nach dem Tod des 1928 verstorbenen Künstlers, ist unbekannt, ebenso wie es aussah. Ernst Müller-Braunschweig war ein guter Freund Franz Lippischs. In Jamlitz gestaltete er im Auftrag des Grafen von der Schulenburg das am 21. Juni 1925 eingeweihte, heute weitgehend verfallene Kriegerdenkmal im „Birkenwäldchen“.
Um 1920: Paul Schröder
Der Berliner Architekt Paul Schröder baute sich um 1920 am östlichen Ende der Jamlitzer Hauptstraße ein Reetdach-Ferienhaus. Seit 1906 war er mit seiner Familie einer der treuesten Stammgäste des „Kühlen Grundes“ gewesen. Verbindungen bestanden zu Lippischs, Kühnes, Seifferts und Bankier Meyer, für den er 1914 die Jamlitzer Villa Deus errichtete. Sein Wohnungsnachbar in der Denkstraße 5 in Berlin-Friedenau war Walter Trier, der ihn 1927 in Jamlitz besuchte.
Paul Schröder entwarf in Jamlitz den Umbau des Lippisch-Hofs und das (nicht erhaltene) Haus von Ernst Müller-Braunschweig und erhielt Aufträge vom Grafen von der Schulenburg. Für sich baute er 1928 zusätzlich ein Landhaus in Bad Saarow am Scharmützelsee. Das reetgedeckte Jamlitzer „Schilfhaus“ verblieb ihm nach 1945 als einziges Domizil, in dem er 1963 hochbetagt verstarb.
Um 1933: Rudolf Grunemann
Die nächste Künstlergeneration folgte in den 1930er Jahren mit Rudolf Grunemann aus Frankfurt (Oder). Der Maler und Grafiker kam zunächst besuchsweise zu Walter Kühne, bei dem er mit Frau und Kindern im Gartenatelier wohnte. Erst mit Kriegsbeginn 1939/40 machte er Jamlitz zu seiner Hauptadresse. Die Grunemanns wohnten bei Riese in der Glashütte, nach Kriegsende im eigenen Holzhaus am Raduschsee.
Rudolf Grunemann vor seinem Bild
Die Kinder des Waldsiedlers. Es zeigt im Hintergrund das Holzhaus der Grunemanns am Raduschsee in Jamlitz (© für das Gemälde: Michael Grunemann Frankfurt (Oder), für das Foto: Stadtarchiv Frankfurt (Oder), 3-310 Fotosammlung, Signatur Zug. 1462/98 [1–3], Foto: Burkhard Keding)
Rudolf Grunemann hielt sich wegen auswärtiger Projekte und kriegsbedingt nicht oft in Jamlitz auf. Das Wandbild im früheren Schulgebäude zeugt von seinem Schaffen vor Ort. Um 1954 ging er nach Trennung von seiner Frau Theresia zurück nach Frankfurt (Oder). Er blieb mit Walter Kühne, der ihn „Arbeitskamerad“ nannte, verbunden und hielt für ihn 1956 die Grabrede.
1935: Erich Seiffert
In wirtschaftlich und vielleicht auch politisch bedrängter Lage (sie sollen kommunistische Flugblätter verteilt haben) zogen Erich Seiffert 1935 und Frau Maria geb. Kühne mit dem neugeborenen Sohn Christian ins Haus der Schwiegereltern nach Jamlitz. Die Seifferts wohnten im straßenseitigen Anbau von 1911.
Wie Rudolf Grunemann stammte Erich Seiffert aus Frankfurt (Oder) und hatte in Berlin studiert. Unter Walter Kühnes Einfluss entwickelte sich der Innenarchitekt und Maler zu einem exzellenten Kupferstecher. 1943 zum Kriegsdienst eingezogen, starb er 1944 als Soldat.
Durch die Zerstörung des Hauses 1945 ging ein Teil von Erich Seifferts Werken und Druckplatten verloren. Nach Wiederaufbau, Flucht der Familie Seiffert in den Westen 1960 und folgender Enteignung ist das Haus heute wieder in Familienbesitz.
1941: Bianca Commichau-Lippisch
Die Malerin Bianca Commichau-Lippisch kehrte 1941 zurück nach Jamlitz, um den Nachlass ihres verstorbenen Vaters Franz Lippisch zu ordnen und ihre Mutter Clara zu unterstützen, die Ende 1942 starb. Nach Kriegsende 1945 zog sie, inzwischen verwitwet, ganz in den ererbten Lippisch-Hof. Dort gründete auch ihre Tochter Margot ihre Familie. Es folgten Jahre intensiver Tätigkeit als Porträt- und Landschaftsmalerin, zeitweise auch als Kunstlehrerin an der Jamlitzer Schule. 1964 zog sie zu ihrer jüngsten Tochter nach Schleswig-Holstein. Der Lippisch-Hof ist noch heute in Familienbesitz.
1948: Kurt Herbst
Der Maler Kurt Herbst aus Bottrop lernte seine spätere Frau Gudrun geb. Kaethner aus Cottbus 1945 im dortigen Lazarett kennen. Nach zwei Jahren Kunststudium in Düsseldorf und der Heirat im August 1948 zog er mit seiner Frau nach Jamlitz ins Ferienhaus der Familie Kaethner am Raduschsee. Nebenan wohnten Grunemanns. 1953 gingen die Herbsts mit inzwischen zwei Kindern nach Dresden, wo Kurt Herbst sein Studium abschloss und sich als freier Künstler etablierte. Verbindungen nach Jamlitz zu den Familien Seiffert und Kühne und zu Bianca Commichau-Lippisch blieben bestehen.
Kurt Herbst malte Landschaften, Porträts, Interieurs, seine Kinder und gestaltete Plakate. 1950 war er in der Ausstellung zum 800. Jubiläum der Stadt Lübben vertreten, u.a. mit dem Bild Atelierecke, das im Haus am Raduschsee entstand, und mit dem Jamlitzer Motiv Teichfischer. Sein Bild Glasbläser soll dem Jamlitzer Männerchor als Siegerpreis gestiftet worden sein.
Nach 1949: Günter Kloke, Heinz Bonatz
In den DDR-Jahren betätigten sich die Jamlitzer Künstler erstmals als Lehrer für ortsansässige Kunstautodidakten, zum Beispiel den aus Crossen an der Oder stammenden Tischler Günter Kloke. Er nahm 1949/50 bei Bianca Commichau-Lippisch Malunterricht und suchte auch bei Walter Kühne Rat. Er erfuhr für seine Porträts und Darstellungen von Landschaften und Bauten öffentliche Anerkennung und gab von 1960 bis 1962 Kunst- und Werkunterricht an der Jamlitzer Schule. Sein Atelier hatte er in dem früheren Mühlengebäude an Meyers Teich. Dort wohnte Malermeister Heinz Bonatz, der sich auch als Landschaftsmaler betätigte und mit Rudolf Grunemann befreundet war.
Vorläufiges Ende
Mit dem Weggang von Bianca Commichau-Lippisch im Herbst 1964 endete zunächst die Geschichte der Künstler in Jamlitz. Ob man ihre Ansiedlung als Künstlerkolonie bezeichnen kann, wird hier diskutiert und mit Einschränkungen bejaht. Breitere Wirkung entfaltete sie allerdings nicht. Ursache waren nicht zuletzt die Zeitumstände, wie die NS-Jahre mit ihren Folgen für den Ort und die Künstlerfamilien, aber auch Zufälle und persönliche Lebensentscheidungen.
Heute wohnen und arbeiten wieder bildende Künstlerinnen und Künstler in Jamlitz, darunter Bernd Beck, Anna Grunemann und Udo Keck.