Dr. Walter Kühne
1875-1956
In Walter Kühnes erhaltenem Werk überwiegt die Druckgrafik. Dies spiegelt den Schwerpunkt seines Schaffens wider, ist also nicht allein auf Überlieferungszufall zurückzuführen. Im Lauf seines Lebens entstanden nach eigenen Angaben „tausend und mehr Radierungen und Holz- und Linolschnitte“. Zwar sind nur wenige Originalplatten erhalten, da außer Walter Kühnes Haus auch die Druckerei O. Felsing in Berlin kriegszerstört wurde, aber viele Exemplare der Drucke befinden sich in Privat- und öffentlichem Besitz.
Schon früh bemerkt Walter Kühne, dass seine Stärke mehr in der Zeichnung als in der Malerei liegt. Auch die Lektüre von Max Klingers Schrift Malerei und Zeichnung (1891) mag dazu beigetragen haben (so ähnlich ging es übrigens Käthe Kollwitz). Auf Klinger beruft er sich in seinen Memoiren ausdrücklich für die Erstellung grafischer Serien:
„Der einzige aus [der] älteren Generation der Akademie in Berlin, der von Anfang an bewußt Graphik in Serien machte, war Klinger … Eine ganz andere Aufgabe als das Ölbild vom alten Altarbild bis zum modernen (meist üblen) Historienbild … Im Laufe der Jahre habe ich auch graphische Serien radiert und in Holz und Linoleum geschnitten; mir fallen etwa 12 solche Opusse ein.“
Walter Kühne verzichtet nun weitgehend auf die Malerei und das Monumentale zugunsten der Originalgrafik, des kleinen Formats und der Serie. Im Mittelpunkt seines Werks stehen Landschaften und Stadtansichten, außerdem satirische Bildfolgen und Metallschmuck. In verschiedenen grafischen Techniken entwickelt er einen charakteristischen Stil der Naturschilderung, aber auch der Karikatur, des Skurrilen und des Fantastischen. Am häufigsten arbeitet er in der Technik der Radierung. Populär werden vor allem seine kleinformatigen Radierungen mit Motiven aus der Region, nicht zuletzt aus Jamlitz.
bis 1918
Über Walter Kühnes Hauptthemen der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg schreibt Siegbert Salter 1911: „Mit besonderer Vorliebe entnimmt er seine Sujets der stillen, versonnenen Schönheit des märkischen Landes und der deutschen Küste, der prangenden Heiterkeit des Südens und der verschwindenden Traulichkeit Alt-Berlins.“
Hinzu kommen Porträts sowie idyllische und symbolische Szenen – Genres, auf die Walter Kühne nach dem Ersten Weltkrieg allerdings zugunsten der Satire und des Grotesken verzichten wird.
"Stille, versonnene Schönheit des märkischen Landes und der deutschen Küste"
Märkische Motive findet Walter Kühne damals überwiegend in Jamlitz. Seine Landschaftsradierungen dieser Zeit wie Schäferteich mit Wehlans Berg (1910) und Wiesenquelle (1911) zeichnen sich durch besonders reizvolle Tiefenstaffelung und feine Differenzierung aus.
Von seiner Reise nach Ahrenshoop bringt Walter Kühne 1906 Motive wie Reetdachhaus und Baum mit, bei denen er sich neben der detailgetreuen Wiedergabe der Natur vor allem für das Spiel der grafischen Strukturen interessiert.
"Prangende Heiterkeit des Südens und verschwindende Traulichkeit Alt-Berlins"
Sein Leben lang hat Walter Kühne italienische Motive geschaffen. Sie stützen sich auf während seiner Reisen gemachte Zeichnungen und Fotos, aber auch auf seine Erinnerung. Sie sind allerdings keineswegs immer heiter, sondern wie Frau unter Oliven (Malcesine) von 1905 und Venedig. Blick auf die ferne Stadt von 1907 auch melancholisch – entgegen dem gängigen Italienklischee.
Eine Reihe von Radierungen Walter Kühnes beweisen sein dokumentarisches Interesse am Wandel des Berliner Stadtbildes. Mehrere davon befinden sich im Besitz des Berliner Kupferstichkabinetts, darunter Alt Berlin (1910) und Berliner Schloss (1912). Sie sind auch von stadtgeschichtlichem Interesse.
Bildnisse, Idyllen und symbolische Szenen
Bildnisse erwähnt Siegbert Salters Artikel nicht, vielleicht waren sie eher für den privaten Rahmen gedacht. Obwohl nach eigener Einschätzung Menschendarstellung nicht seine Stärke war, hat Walter Kühne eindringliche Porträts wie das von Meta Huntemüller geb. Bode geschaffen.
In manchen seiner frühen Werke, so in Alte Kiefern (1906), Sommer (1909) und den Radierungen Im Winde und Ruhe aus der von der Jamlitzer Landschaft inspirierten Folge „Wind und Wasser. Idyllen aus Sommertagen“ (ebenfalls 1909), gestaltet Walter Kühne Landschaften durch Einfügung menschlicher Figuren als symbolische Szenen oder Idyllen, also als Idealbilder ländlichen Lebens. Er orientiert sich dabei möglicherweise an Franz Lippisch und bekannten Jugendstil-Künstlern wie dem Worpsweder Maler Heinrich Vogeler. Auch in deren Bildern wird die Natur romantisch als Spiegel und Ausdrucksform seelischer Empfindungen aufgefasst. In von Industrialisierung unberührte Landschaften sind menschliche Figuren als „Stimmungsträger“ platziert – meist weibliche Figuren, da Frauen besondere Empfindsamkeit zugeschrieben wurde.
Ab 1918
Nach dem Ersten Weltkrieg verzichtet Walter Kühne in seinen Werken auf Idyllen und symbolische Szenen. In einer Notiz vom 3. März 1947 kritisiert er ausdrücklich die Verwendung von „Staffage“, also von menschlichen Figuren in der Landschaft:
„Die Figur des Menschen und sei sie noch so klein, zieht magnetisch die Blicke des Beschauers an, und oft genug vergisst er über der menschlichen Gestalt und ihrer Hantierung seinen Blick auf das große Ganze des Kunstwerks zu richten. Angeblich ist für den Menschen das Wichtigste der Mensch. Aber ein Landschaftsmaler findet das Glück göttlichen Schauens auch außerhalb des Menschen in der großen gesamten Natur alles Lebens.“
Wirtschaftliche Not bestimmt nach 1923 Walter Kühnes Leben ebenso wie das vieler Zeitgenossen. Wenn er nun Menschen darstellt, dann als Karikatur, oft in satirischen Bildserien. Er schafft solche „Teufelchen“ zum Vergnügen, zum Verkauf dagegen Schmuck und „wackre Heimatkunst“, wie er selbst es in einem Brief vom 18. März 1931 nennt. Allem widmet er sich unterschiedslos mit viel Liebe zum gestalterischen Detail.
Satirische Bildserien
In den 1920er Jahren entstehen mindestens sechs satirische Bildserien. Manche sind gar nicht, manche unvollständig überliefert. „Gemütliches/Ungemütliches“ ist eine Folge von zehn Radierungen, darunter das Blatt Beratung „… in denen sie alle bloßgestellt sind: die skurrilen Außenseiter, die Snobs und Unproduktiven, von denen die Zeitläufte voll waren“ (Rudolf Grunemann, Erinnerungen an Walter Kühne, S. 3). Die „Reise um die Welt in 5 Minuten“, wohl um 1923/24 entstanden und nur in Einzelblättern wie Das Vollschiff Lügenmaul überliefert, ist „eine Traumreise, nicht ausführbar, ein Märchen, aber ein kritisches, mit Witz und Bildung auf die Gegenwart bezogen“ (ebd.).
Schmuck und Hochätzungen, Gelegenheitsgrafiken
Walter Kühne berichtet in einem Brief Ende 1923 über die (nicht überlieferte) Serie „Kleine Septemberreise“,
„… die mir zur Zeit von Allem am meisten am Herzen liegt, da ich sie ohne Rücksichten nur zu meinem Plaisir mache. Es werden ca. 25 Linoleumschnitte und Hochätzungen, alle farbig. Leider komme ich selten dazu, weil ich immerzu Schmuck machen muss, der sich verkauft und wenigstens etwas einbringt.“
Technisch liegen Schmuckherstellung und Druckgrafik gar nicht weit auseinander. Sowohl Broschen, Knöpfe und Anhänger als auch Grafiken wie den Wanderer fertigt Walter Kühne in der Technik der Hochätzung an. Bei dem aus Schmuck- und Waffenherstellung bekannten Verfahren wird das Metall mit Abdecklack (z.B. Harz) bedeckt und darin mit Messer, Griffel oder anderem Werkzeug die Darstellung graviert. Nach dem Säurebad sind die bedeckten Partien erhaben, die gravierten Stellen tieferliegend. Es kann sowohl vom Grund als auch von den erhabenen Partien gedruckt werden.
Zu besonderen Anlässen verschickt Walter Kühne launige, manchmal groteske, manchmal poetische Gelegenheitsgrafiken wie einen Neujahrsgruß, der unter dem Leitspruch aus Goethes „West-östlichem Divan“ steht:
„Gottes ist der Orient, Gottes ist der Okzident. Nord und südliches Gelände ruht im Frieden seiner Hände.“
Stadt und Land im Kleinformat
Seit ungefähr 1930 fertigt Walter Kühne Serien von Landschaftsdarstellungen und Stadtansichten aus der Niederlausitz und dem Spreewald, aber auch aus der Gegend um Frankfurt (Oder) an. Er fährt von Jamlitz aus per Fahrrad oder Eisenbahn in die nähere und weitere Umgebung und zeichnet vor Ort. Im Atelier entstehen dann Radierungen in Postkartengröße. Sie sind für fast jedermann erschwinglich und werden gern als Geschenk verwendet. Von 1937 bis 1940 erscheinen ähnliche Federzeichnungen als Kopfbilder im Lübbener Kreiskalender.
Natürlich dürfen dabei historische architektonische Schätze wie das Lieberoser Schloss und das Schloss Lübben nicht fehlen. Aber Walter Kühne interessieren auch moderne Bauten wie die 1926 als Erstlingswerk des letzten Bauhaus-Direktors Ludwig Mies van der Rohe errichtete Villa Wolf, Guben. 1945 kriegszerstört, befindet sie sich heute im Wiederaufbau.
Farbe
Mit einfachsten Materialien – nach 1945 hat er wahrscheinlich nicht einmal echte Linolplatten zur Verfügung, sondern benutzt stattdessen Presspappe – setzt Walter Kühne nach der Zerstörung seines Hauses scheinbar unverdrossen die künstlerische Tätigkeit fort. Es entstehen auch farbige Arbeiten wie kolorierte Linolschnitte, z.B. Jamlitzer Landschaft (1948), und Aquarelle, z.B. Quitte auf Scherben (1953).
In einer Notiz vom 10.12.1945 schreibt Walter Kühne über die Farbe:
„Als Graphiker habe ich stets versucht mehr durch die Linie das Gesamtbild meines Eindrucks von der Natur oder meiner Vorstellung wiederzugeben. Wenn ich jetzt Lust an der Farbe habe, so ist das wie eine schöne schmückende Begleitung, wie wenn zu einer Singstimme eine reiche Klavierbegleitung ertönt: oder besser: wie ein Klavierspiel, dessen Themen ein Orchester in bunten Farben begleitet. Also weniger ‚Gemälde‘ als farbige Graphik. Für andere mögen andere Regeln gelten, mir sagt es so zu.“
Walter Kühne
Porträt Siegbert Salter, 1910
Kaltnadel, 24 x 31 cm
Der 1873 bei Trier als Simon Salomon geborene, in Berlin tätige Schriftsteller und Journalist veröffentlichte 1911 einen Artikel über Walter Kühne. Siegbert Salter wurde als Jude 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er 1943 umkam. Über Walter Kühne schrieb er:
„Er weiß mit einer wunderbaren Sicherheit die Radiernadel zu führen und die einfachsten Blätter mit einem köstlichen Stimmungszauber zu füllen. Besonders gut liegen ihm landschaftliche Sujets, und in der lebendigen Wiedergabe belaubter Bäume, in der feinen Behandlung der Luft, in der zarten Andeutung der leise verschwimmenden Ferne, der plastischen Wiedergabe des mählichen Zurückweichens des Hintergrundes, in der liebevollen, fast japanisch anmutenden Vertiefung in einzelne Details und in der sicheren, lebensprühenden Linienführung bietet er Leistungen, die jedem Kunstfreunde, der das rein Künstlerische und das Technische in einem Werk zu schätzen weiß, eine ehrliche Freude bereiten müssen.
… Mit besonderer Vorliebe entnimmt er seine Sujets der stillen, versonnenen Schönheit des märkischen Landes und der deutschen Küste, der prangenden Heiterkeit des Südens und der verschwindenden Traulichkeit Alt-Berlins. …
Eine nervenerquickende Ruhe liegt über alle seine Schöpfungen ausgebreitet, eine Ruhe, die ihren Grund hat in einer souveränen Beherrschung aller technischen Mittel und in einem fast Liebermannschen Gefühl absoluter Wurschtigkeit gegenüber irgendwelchen Schulen, Strömungen, Richtungen und Urteilen.“
(Aus: Über Land und Meer 1911, Nr. 29, S. 759–761, hier S. 760)
Bei der Radierung, einem Tiefdruckverfahren, entsteht die Darstellung durch Einritzen direkt in die Metallplatte (Kaltnadel) oder in eine säurebeständige Beschichtung (Ätzradierung). Für flächige Effekte raut man die Platte mechanisch auf und glättet dann die hell bleibenden Stellen (Mezzotinto, Schabkunst) oder man versieht die beschichtete Platte durch Aufschmelzen von Stäuben mit einer körnigen Struktur und schützt die nicht druckenden Stellen mit Abdecklack (Aquatinta, Tuschätzung). Zum Ätzen wird die Platte in Säure gelegt, die sich an den freigelegten Stellen ins Metall gräbt. Diese Stellen drucken farbig. Durch weiteres Abdecken und erneutes Ätzen kann die Farbintensität stufenweise gesteuert werden. Die Radierung gilt als malerischstes Medium der Druckgrafik.
Der Aufschwung der „Originalgrafik“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann, seit die Druckgrafik durch die Fotografie von der Aufgabe der Reproduktion entbunden war. Max Klinger (1857–1920) trug mit seinen druckgrafischen Zyklen und kunsttheoretischen Schriften (Malerei und Zeichnung, 1891) über die „Griffelkunst“ wesentlich zu dem Aufschwung der Künstlergrafik in Deutschland bei. Für ihn war die Radierung das Medium des modernen Künstlers, der darin nach dem Vorbild von Rembrandt und Goya als „Peintre-Graveur“ seine Imaginationen in freien Bilderfindungen zum Ausdruck bringen könne. Wegen ihres relativ günstigen Preises fanden Originalgrafiken in bürgerlichen Kreisen weite Verbreitung. Auch für Künstlerkolonien waren sie wichtig, Druckgrafiken von Heinrich Vogeler steigerten die Popularität Worpswedes. Vereine wie der „Verein für Original-Radirung zu Berlin“ setzten sich für die Verbreitung von Künstlergrafiken ein.
Die 1906 gegründete Freie Schulgemeinde Wickersdorf bei Saalfeld in Thüringen mit ihrem Streben nach ganzheitlicher ästhetisch-musischer Bildung und selbstbestimmter „Jugendkultur“ ist damals in Großbürger- und Künstlerkreisen, auch international, weithin bekannt. Die Bildhauerin Käthe Kollwitz und der Verleger Eugen Diederichs, in dessen Jenaer „Sera-Kreis“ Alexander Lippisch sich bewegt, schicken ihre Kinder dorthin, aber auch die Jamlitzer Künstlerin Johanna Feuereisen. Warum Walter Kühne als Lehrer nach Wickersdorf gegangen ist, ob vielleicht neben seiner Identifizierung mit den Zielen der Schule auch seine sich verschlechternde wirtschaftliche Situation eine Rolle spielt, wissen wir nicht.
Literatur:
- Dudek 2009
Walter Kühnes Serie „Wind und Wasser. Idyllen aus Sommertagen“ erschien 1909 im Selbstverlag in einer Auflage von 50 Stück bei der Druckerei O. Felsing in Berlin. Teile: I. Überredung zum Baden, II. Am Wehr, III. Schönes Wetter, IV. Im Winde, V. Ruhe, VI. An den Kunstfreund. Bisher sind daraus III. Schönes Wetter, IV. Im Winde, V. Ruhe identifiziert. Die Blätter wurden auch einzeln und unter anderen Bildtiteln verkauft und publiziert. Es ist daher anzunehmen, dass sie nicht von vornherein als Zyklus komponiert, sondern nachträglich als Serie zusammengestellt wurden. Dafür spricht auch, dass die Nummerierung nur mit Bleistift erfolgte und nicht gedruckt ist. Das unterscheidet sie von Max Klingers Bildzyklen, auf die sich Walter Kühne als Vorbild beruft, bei denen aber jedem Blatt eine bestimmte erzähllogische Position innerhalb einer übergreifenden Idee zukommt. Eine übergreifende Idee gibt es bei Walter Kühnes Serie aber schon: Es ist das sommerliche Jamlitz als „Idyll“, als Idealbild ländlichen Lebens.