Franz Lippisch

1859-1941


WERKSCHAU

Aufgrund des Zweiten Weltkriegs ist Franz Lippischs Werk nur fragmentarisch überliefert. In Schriftquellen sind ca. 1100 Bilder dokumentiert. Davon sind ca. 500 erhalten, überwiegend Ölskizzen und -gemälde, Studien- und Entwurfszeichnungen sowie ausgearbeitete Federzeichnungen und Buchillustrationen. Die Sujets sind italienische und märkische Landschaft, Figurenbilder und Porträts.

Franz Lippisch: Einbandzeichnung zu Tolstois „Auferstehung“, Leipzig: Verlag Eugen Diederichs, 1900 (Foto: Wikimedia Commons). Franz Lippischs Buchausstattung mit deutlichen Anklängen an den Jugendstil galt als die schönste der damaligen Ausgaben von Tolstois „Auferstehung“ (Heidler 1998, S. 533).

Franz Lippischs Kunstauffassung war idealistisch. Er wollte die Wirklichkeit „veredeln“ und lehnte „realistische Camerakunst“ ab. Gegenüber Émile Zolas Definition „Ein Kunstwerk ist ein Stück Natur, gesehen durch ein Temperament“ (1864), betonte er die Rolle der Phantasie. Sie kommt vor allem in seinen Federzeichnungen, Figurenbildern und manchen italienischen Landschaften zum Tragen. Seine überwiegend zum Lebensunterhalt gemalten märkischen Landschaften und die Porträts folgten eher dem Naturalismus.

Schon früh orientierte sich Franz Lippisch mehr an Max Klinger und den Deutschrömern Böcklin, Feuerbach und Marées als an seinen akademischen Lehrern – dem auf Pferdebilder spezialisierten Carl Steffeck (1818–1890), bei dem auch Marées studiert hatte, und dem Historienmaler Paul Thumann (1834–1908), der Lehrer Max Liebermanns gewesen war.

Zentral war und blieb für Franz Lippisch die „Zeitlosigkeit“ im Sinne einer Orientierung an klassischer Kunst. Wenig überraschend sind in seinem Werk auch kaum thematische und stilistische Veränderungen zu verzeichnen. Oft ist es schwierig, undatierte Bilder zeitlich einzuordnen. Eine deutliche Veränderung gab es in den Secessionsjahren um 1900: Beeinflusst vom Impressionismus ging Franz Lippisch von der feinmalerischen zur skizzenhafteren Malweise über. Er nahm auch Anregungen von Jugendstil und Symbolismus (Ludwig von Hofmann) auf, aber ohne deren Merkmale gänzlich zu adaptieren.

Zeichnungen und Fantasiebilder

In seinen Studienjahren erweist sich Franz Lippisch als genauer Beobachter und akribischer Realist. Als langjähriger Leiter der Vorbereitungsklasse der Berliner Akademie (mit Unterbrechungen 1881–1890) und später als Leiter seiner Charlottenburger Malschule (1896–1912) gab er vor allem als Zeichner weiter, was er selbst dort gelernt hatte.

Bei Franz Lippischs Zeichnungen der frühen 1880er Jahre ist besonders das Vorbild der Grafiken von Max Klinger (1857–1920) erkennbar. Beide kannten sich von der Akademie in Berlin und begegneten sich 1890/91 wieder in Rom. Lippisch empfahl die Kunst Klingers auch seinen Schülern als Vorbild und ließ sich höchstwahrscheinlich von ihm zu grafischen Bildfolgen anregen. Allerdings eignete er sich, soweit bekannt, nicht die Technik der Radierung an, sondern arbeitete mit Tusche und Zeichenfeder. Ähnlich Max Klinger widmete er sich in seinen Bildern existenziellen Fragen.

Franz Lippischs 1883 gezeichneter Bildzyklus „Ein Blumenzweig aus Eden“ thematisiert das Leben der ersten Menschen nach der Vertreibung aus dem Paradies (Adam und Eva und ihre Kinder Kain und Abel). Offensichtlich ließ er sich dabei stilistisch stark von Klingers Vorbild leiten, fand aber originelle eigene Bildlösungen.

Seine Bildidee vom Tod als Flößer setzte Franz Lippisch in zwei Versionen um: 1885 als Federzeichnung Das Floß des Todes und 1897 als Gemälde Flößer Tod in Öltempera auf Leinwand. In der Kunst des 19. Jahrhunderts beschäftigen sich u.a. Lippischs Vorbilder Klinger und Böcklin mit dem Thema des Todes. Zu deren Bildern bestehen in diesem Fall aber nur allgemeine Parallelen. Franz Lippischs 1904/05 gemalte Komposition Traumbrücke im Städtischen Museum Braunschweig ist mit dem Flößerbild eng verwandt.

Italiensehnsucht

Von 1885 bis zum Ersten Weltkrieg hielt sich Franz Lippisch fast jedes Jahr in Italien auf oder lebte längere Zeit dort. Von den Eindrücken zehrte er sein Leben lang. Er sehnte sich stets dorthin zurück. Wie die Deutschrömer suchte und sah Franz Lippisch in Italien nicht nur das Land der antiken und der Renaissance-Kunst, sondern auch eine urtümliche, von den Naturkräften beherrschte Gegenwelt. Beim Baden mit einem Malerkollegen in der Blauen Grotte von Capri fühlte er sich aus der modernen Zivilisation in die Welt der antiken Götter versetzt – und zugleich in das 1883 in der Berliner Galerie Gurlitt ausgestellte Gemälde Das Spiel der Wellen von Arnold Böcklin:

„Dann kommt der alte Zauber über einen … Man wird heidnisch gestimmt und spürt die Gegenwart der alten, schönheitstrunkenen, fröhlichen Götter … wie frei fühlt man sich von all’ dem modernen Kram und wie lächelt man über all’ die Frackgestalten und Schlafrockhelden … bekommt Achtung vor dem Nackten von Gott Erschaffenen. Mein College ist eine rechte Böcklinsgestalt mit so einem bärtigen schönen Kopf. Das war nun gerade zu frappierend, diese Reminiszenz an das ‚Spiel der Wellen‘.“ (Brief vom 22. Juli 1885)

Arnold Böcklin: Das Spiel der Wellen, 1883
Öl auf Leinwand, 180 x 238 cm
Neue Pinakothek, München (Foto: Wikimedia Commons)

Der Maler zeigt den Mythos als Gegenbild zur prüden Gegenwart. Im Bild des Triton ist der Direktor der zoologischen Station Neapel, Anton Dohrn, porträtiert.

Capri

„Aus dem Paradiese sendet die herzlichsten Grüße …“ – so beginnt am 15. April Franz Lippischs erster Brief von der Insel Capri, wo er ab dem Frühjahr 1885 anderthalb Jahre verbrachte. „Man hat hier in Italien alles am besten – schöne Natur und Sonnenschein, und wozu brauche ich ein Atelier – ich male am liebsten draußen und das kann ich im Süden immer haben“ (Brief vom 8. Oktober 1885). So versuchte er, „all’ das Glück, welches uns das Anschauen und Genießen so lieblichster und großartiger Natur gewährt“ (ebd.), für seine Kunst fruchtbar zu machen.

Nicht nur in der Natur, auch im einfachen Volk, aus dem vielleicht die von ihm gemalte Junge Frau aus Capri stammte, glaubt er eine aus der modernen nordeuropäischen Zivilisation verschwundene Urtümlichkeit ausmachen zu können. Er malt auf Capri …

„… in der Abendstunde einen Hof mit antikem Brunnen beschattet von einem großen, blühenden Oleanderbaum. … Mit den Bewohnern dieses Hofes bin ich schon gut bekannt … Da wird genäht, gelacht und geschwätzt. … Gestern war ein bildhübscher junger Priester dort aus Sorrent, da war dann großes Fragen und Blicke werfen. Als er fort war, wurden ihm noch so viel schmelzende Canzonen nachgesungen und sein Gang und Redeweise belobt und nachgemacht – die reine komische Oper. Es ist eben noch Heidentum in diesem Volk – echtes fröhliches Heidentum.“ (Brief vom 22. Juli 1885)

Römische und oberitalienische Landschaft

Landschaftsbilder wie Frühlingsabend in der Campagna (Motiv Sant Andrea bei Ponte Molle, Rom) und die Ansicht einer Villa in Frühling in Frascati zeigen Gebäude in ländlicher Idylle oder als Zeugnisse der Vergangenheit, umstanden von Zypressen, Mandel- und Orangenbäumen als Sinnbildern ewig-„zeitloser“ Natur. Der Entwurf für eine dekorative Landschaft verbindet typische italienische Landschaftsmotive mit einer antik gewandeten Frauenfigur zu einer Ideallandschaft. Nur selten stellt Franz Lippisch in seinen italienischen Landschaftsbildern zeitgenössisch gekleidete Menschen dar, z.B. im Giardino Giusti in Verona.

„Existenzbilder“, Allegorien, Idealbildnisse

Figurenbilder wie Traumbrücke und Flößer Tod, die Seelenzustände und Grundbedingungen menschlichen Lebens veranschaulichen, waren Franz Lippisch künstlerisch am wichtigsten. Dazu zählen auch „Existenzbilder“ (ein Begriff von Jacob Burckhardt): idealisierte, zugleich glaubhaft realistisch gemalte Darstellungen glücklichen Daseins wie die Badende; Allegorien: sinnbildliche Darstellungen wie Die Gaben des Friedens; schließlich weibliche Idealbildnisse.

Die bei seinen Romaufenthalten 1900 bis 1913/14 gemalten Bildnisse römischer Modelle in Halbfigur erinnern in ihrer klassischen Auffassung an Porträts, die Anselm Feuerbach von seiner Geliebten Nanna schuf. Im Hintergrund sind typisch italienische Landschafts- und Architekturmotive zu sehen. Die Bilder erhielten Titel wie La Romagnola, Donna Romana oder einfach Römerin. Das Bild Candida mit der Plakette gemalt in Rom ist durch den von diesem Schema abweichenden Namen und das dargestellte Bronzerelief besonders beziehungsreich.

Bildnisse

Franz Lippischs zahlreiche Bildnisse sind stärker der Wirklichkeitstreue verpflichtet als andere seiner Werke. Meist entstanden sie als Auftragsbilder, die repräsentativ zu sein und entsprechende Erwartungen zu erfüllen hatten (Wiederkennbarkeit, gültige Darstellung von Persönlichkeit und sozialem Status des Porträtierten). In Bildnissen seiner engeren Familie oder seiner Freunde konnte er möglicherweise freier zu Werk gehen oder unterschiedliche Gestaltungsweisen erproben.

Märkische Landschaften

Schon in den 1880er Jahren fährt Franz Lippisch mit den Schülern seiner Vorbereitungsklasse für die Berliner Akademie in den Spreewald, z.B. nach Burg ins Lokal „Zum fröhlichen Hecht“, um in der freien Natur zu zeichnen und zu malen. Er erzählt davon anekdotisch in seinen Erinnerungen an den jungen Leo von König (1941). 1896, nach der Rückkehr von München nach Berlin und der Eröffnung der Malschule in Charlottenburg, setzt er diese Tradition fort und „entdeckt“ so um 1902 auch Jamlitz.

Sprachlich unterscheidet Franz Lippisch manchmal zwischen „Bildern“ und Landschaften. Sollte darin eine Wertung stecken, entspräche sie hergebrachten akademischen Einstufungen: Das viel Erfindung erfordernde Figuren- oder Historienbild stand höher als das „nur“ die Wirklichkeit abschildernde Porträt und die Landschaft. Allerdings war die Landschaftsmalerei mit dem Aufkommen der Freilichtmalerei und der Künstlerkolonien inzwischen auch an den Akademien fest verankert. Leiter der Landschaftsklasse an der Berliner Akademie war 1882–1901 Eugen Bracht.

Bisweilen klagte Franz Lippisch darüber, „süße verkäufliche Wiesenbächlein im Vorfrühling“ malen zu müssen, wo er lieber „Stimmungen, über die man noch nachsinnen soll und die gar ernst und still machen“, wiedergeben wollte (Brief vom 20. Februar 1920). Andererseits „landschafterte“ er oft mit Vergnügen und ließ sich später bestimmt nicht ungern zum „Altmeister“ märkischer Heimatkunst stilisieren.

Franz Lippischs Wahlverwandtschaft mit den „Deutschrömern“ – der dem Neoklassizismus zuzurechnenden deutschsprachigen Künstlerschar, die ab den 1850er Jahren in Rom lebte, kommt in allen seinen Schaffensphasen zum Tragen. Der Sammler Erik Jayme nennt ihn deshalb „den letzten der Deutsch-Römer“ (Nachrichten aus der Kunstsammlung Erik Jayme 5, 2008, S. 3).

Von Arnold Böcklin (1827–1901) übernahm Franz Lippisch vor allem die düsteren italienischen Stimmungslandschaften nach Art der Villa am Meer und die Maltechnik der Öltempera.

Aus der innerlich orientierten Bildwelt Anselm Feuerbachs (1829–1880) nahm er die Frauenporträts zum Vorbild, so die oft gemalte Nanna, aber auch friesartige Figurenbilder wie das Urteil des Paris. Nach Feuerbach nannte Franz Lippisch seinen ersten Sohn „Anselm“.

Hans von Marées (1837–1887) war sein Gewährsmann für „Zeitlosigkeit“ von Form und Inhalt. Dessen „Sehnsuchtslandschaften“ (von Marées selbst so genannt) und auf erzählerische Elemente verzichtende „Existenzbilder“ (ein Begriff des Kunsthistorikers Jacob Burckhardt) zeigen antikische Figuren in Einheit mit der Natur, z.B. die Hesperiden. Daran knüpfte Franz Lippisch mit einem eigenen Hesperiden-Bild an.

Marées habe Malerei als „Gefühlsoffenbarung der schöpferischen Persönlichkeit“ verstanden, schrieb Franz Lippisch 1936 im „Deutschen Kulturwart“ in Erinnerung an Gespräche mit seinem großen Vorbild. Er selbst teilte diese Auffassung. Künstlerschaft stand für ihn damit im Widerspruch zu konventionellen Vorstellungen von Männlichkeit: „… ich bin kein Kriegsmann, sondern ein Künstler, der mehr aus seinem Gefühls- als Verstandesleben geben soll“ (Brief vom 5. November 1888).

Inwieweit Franz Lippischs Vorliebe für die Deutschrömer auch seine Schüler beeinflusste, ist noch nicht systematisch untersucht.

Tempera bedeutet wörtlich „Mischung“ (von lat. temperare = mischen, mäßigen). Die Farbpigmente werden sowohl mit oxidierbaren öligen (z.B. Leinöl) als auch mit wässrigen Bindemitteln (z.B. Ei, Leim, Gummiarabicum) angerieben, also mit einer Emulsion. Die Mischung kann mehr ins Wässrige oder mehr ins Ölige gehen.

Franz Lippisch verwendete nach dem Vorbild Arnold Böcklins sogenannte Öltempera. Dabei wird die auf Leimbasis als Bindemittel beruhende wasserlösliche Temperafarbe mit Öl zu einer Emulsion abgewandelt, und zwar so weit, bis die Vermalbarkeit mit Wasser aufhört und als Malmittel (Verdünnung) Terpentinöl oder stark verdünnte Harzlösungen verwendet werden müssen.

Wie Arnold Böcklin, Max Klinger und zahlreiche andere Maler (z.B. Edvard Munch oder die Worpsweder) benutzte Franz Lippisch u.a. die Tempera-Tubenfarben und das zugehörige Malmittel der Münchner Firma Wurm. Ohne Firniss und Ölbeigabe ergeben sie auf stark saugenden Gründen eine eher matte Oberflächenwirkung.

Der praktische Sinn gegenüber der Ölmalerei: Temperafarben trocknen schneller und ermöglichen dadurch die rasche Umsetzung von Bildideen. Außerdem sind sie leuchtkräftiger und auf Dauer haltbarer als Ölfarben. Der inhaltliche Sinn bei Böcklin: „eine Geisterwelt, die ihm den Busen füllt, ins Leben zu rufen“, also die malerische Gestaltung von Visionen (Neugebauer, S. 131).

Quellen:

  • Lexikon der Kunst, Bd. 5, München 1996, Stichwort Öltemperamalerei, S. 281.
  • Technische Universität München. Lehrstuhl für Restaurierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft. Die Firma Richard Wurm und die „Wurm’sche Tempera“ – Eine kommentierte Archivaliensammlung. Seminararbeit SS 2012 von Christine Berberich, S. 56, 83, 111, 217f., 301, 379f.
  • Wibke Neugebauer: Von Böcklin bis Kandinsky. Kunsttechnologische Forschungen zur Temperamalerei in München zwischen 1850 und 1914, Berlin 2016, S. 131.

Gedicht von Franz Lippisch vom November 1932, einzige überlieferte Äußerung zu seinem Bild (Privatarchiv):

 

Zu eines Stromes starrem Felsgestade
Verirrt sich träumend meine müde Seele;
Von fernher leuchtet nebelweiße Helle,
So schleich ich zaudernd unbekannte Pfade.

Und hingewendet jenen fernen Weiten,
Von woher bleierntrüb die Wasser eilen,
Vorbei sich schiebend, nimmer weilen,
Im wankend drängenden Vorübergleiten.

Da seh’ ein Floß ich nah und näher kommen,
Ausfüllend fast des Stromes weite Feuchte;
Ja, bis zum Horizont sein Anfang reichte,
Eisschollen gleichend, kam es hergeschwommen.

Ein Steurer vorn, gar riesenhaft gestaltet,
Und der sich müht mit kraftvoll festen Stößen
Die schwere Trieft die rechte Bahn zu flößen,
Unfehlbar sicher hier als Lenker schaltet.

Und schaudernd musste jetzt mein Aug sich wenden!
Ein Floß von Leichen, locker nur gebunden,
Der Flößer Tod, so muss ich es bekunden,
Zwingt hier den Kurs mit eisenstarken Händen.

Lautlos vorübertreibt’s, so ohn Ermessen
und aufgereiht, in grausiglangen Zeilen,
Umschlürft von kalter Flut und ohne Weilen,
In’s Meer der Ewigkeit und dann vergessen!